Mittelalterliche Kirchtürme
Mittelalterliche Kirchtürme
Kirchtürme sind häufig die ältesten Teile unserer Dorfkirchen und einige noch mittelalterlichen Ursprungs. Sie blieben erhalten, manchmal mit einem einer anderen Stilphase angepassten Turmhelm, während die Kirchen- schiffe im Gemeindegebiet seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert neu errichtet oder zumindest stark umgebaut wurden. Aus der Zeit vor dem Barock sind hier nur noch vereinzelte Baukörper und Gegenstände vorhanden.
Zu einem frühchristlichen Gotteshaus gehörte keine Turmanlage. Erst im Mittelalter setzten sich diese durch – wozu? Für die Durchführung der rituellen Handlungen sind sie damals wie heute nicht erforderlich. Dennoch müssen sie für die damaligen Menschen von großer Bedeutung gewesen sein, kostete es doch enorme Mühen, ein solch hohes, massives Bauwerk mit nur wenigen technischen Hilfsmitteln zu errichten. Die mittelalterlichen Autoren sehen den auf den Dörfern verbreiteten Einzelturm als Sinnbild des Lebens des Predigers oder auch dieses selbst und seine Zinne als ein Ebenbild von dessen Leben oder Gesinnung, die aufwärts strebt, gleich dem davidischen Turm, der mit Zinnen bewehrt, das Gebirge des Libanon gegenüber von Damaskus beherrschte (Hohelied 4,4). Andere verstehen unter dem Turm die Kirche und die Jungfrau Maria oder ein Sinnbild für das Stadttor des Himmlischen Jerusalem.
Hatten die frühen Kirchtürme auch eine praktische Bedeutung? Stellen wir uns einmal ein mittelalterliches Dorf vor. Niedrige Fachwerkhäuser mit Strohdächern werden das Dorfbild bestimmt haben. Ein Turm ist in dieser Umgebung weithin sichtbar. Er macht das Dorf von fern her erkennbar und bietet die Möglichkeit, die Distanz abzuschätzen. Den Dorfbewohnern ermöglicht er hingegen, insbesondere in der flachen Bördelandschaft, einen weiten Blick ins Umland. Ein solch steinernes Bauwerk ist auch feuersicherer als die leicht brenn- baren Gebäude in seiner Umgebung und bietet sich als Fliehburg oder auch für die Aufbewahrung von Vorräten an. Mit dem Aufkommen der Kirchenglocken, die seit Ende des 12. Jahrhunderts als eingeführt gelten, wurden die Kirchtürme deren Träger.
Alle Türme im Gemeindegebiet sind Westtürme, die rechteckigen Bauten sind also dem Mittelschiff oder dem Saal westlich vorgelegt. Heute dienen sie den Gemein- den zu verschiedensten Zwecken. Allen gemeinsam ist aber ihre Nutzung als Glockenturm.
Beginnen wir nun unsere Tour und schauen uns die alten Türme einmal genauer an.
Einer der besterhaltenen mittelalterlichen Kirchtürme gehört zur St.-Georg-Kirche in Kemme. Auf einem Stein links neben der Eingangstür ist die Jahreszahl 1574 zu lesen. Bauform und Beschaffenheit des Bruchsteinmauerwerks deuten auf eine frühere Erbauungszeit hin. In den dicken Wänden wurden in den unteren Etagen beim Bau schießschartenartige Öffnungen eingelassen. Die obere Etage hat Rundbogenfenster. Heute ist der Turm Eingangshalle, auch der Aufgang zur Orgelempore befindet sich hier.
An der Westseite des Kirchturms in Schellerten ist im Mauerwerk eine deutliche Veränderung in Art und Verarbeitung der Bruchsteine zu erkennen. Der Turm soll einmal eingestürzt sein, eine Inschrift an der Nordwest-Ecke bekundet Bautätigkeiten um 1608. Fotos aus der Zeit, bevor Nord- und Südwand verputzt wurden, zeigen, dass das dortige Mauerwerk dem des alten unteren Teils des Westwandmauerwerks entspricht. Die schießschartenartigen Fenster in der Westwand wurden nachträglich eingeschnitten, denn die Steine sind – anders als in Kemme – durchgehend. Die Rundbogenfenster auf dieser Seite wurden bei den Bau- arbeiten 1933/34 eingebaut. Unten im Turm befand sich bis 1967 die Leichenhalle. Heute ist hier ein Abstellraum. Außerdem dient der Turm als Eingang.
In Oedelum finden wir einen Kirchturm, dessen wuchtige Form deutlich auf seine mittelalterliche Herkunft hinweist. Das untere Drittel des Bauwerks, etwa bis auf Traufenhöhe des Kirchenschiffs, stammt vermutlich aus dem 13. Jahrhundert. Auf Süd- und Westseite sind im alten Bruchsteinmauerwerk schießschartenartige Fenster eingelassen. Der Turm ist im Laufe der Jahrhunderte um- gebaut und teilweise erneuert worden. Seine heutige Form erhielt er 1927. Die Familie von König, von 1614 bis ins 19. Jahr- hundert Besitzerin des Gutes Oedelum, hatte seit Ende des 18. Jahrhunderts unterm Thurm ein Begräbnisgewölbe. Heute befindet sich hier die Leichenhalle.
Der Turm in Garmissen steht seit der 1703 begonnenen Kirchenerweiterung in der St.-Lukas-Kirche. Wie der Kemmer Turm besitzt er ein eingebautes schießschartenartiges Fenster in der Nordwand. Die Fenster der Glockenstube sind mit Maßwerk eingerahmt. Im unteren Teil des Turms befand sich die Grablege der Herren von Garmissen vom örtlichen Rittergut. Die Gruft ist heute leer.
Auch in Dingelbe treffen wir auf einen wuchtigen Wehrturm, der im 15. Jahrhundert errichtet worden sein soll. Der alte Baukörper ist heute geschlämmt und gestrichen, bauliche Besonderheiten sind nicht mehr zu erkennen. Der Turm ist von außen nicht zugänglich und beherbergt in seinem Innern einen Abstellraum und den Aufgang zur Orgel.
Der Turm der Pfarrkirche St. Nikolaus in Ottbergen enthält ebenso wie der Oedelumer Turm mittelalterliche Bestandteile, die hier aber heute nicht mehr als solche erkennbar sind, da auch er geschlämmt und gestrichen wurde. Über der quadratischen Grundfläche von 8 m Seitenlänge erheben sich Mauern, die im Untergeschoss gut anderthalb Meter stark sind. Das barocke Portal mit einer Statue des hl. Nikolaus von Myra, des Namenspatrons der Kirche, führt in den im unteren Teil des Turms befindlichen Eingangsbereich des Gotteshauses, in dem die schießschartenartigen Fenster auch von innen zu erkennen sind.
Hier endet die Reise zu den mittelalterlichen Kirchtürmen in der Gemeinde Schellerten. Auch die hier nicht beschriebenen Türme aus späterer Zeit sind sehenswert. Besuchen Sie sie!