Zickenkrieg im Sieben-Zwerge-Heim
Wie man ungebetene Gäste loswerden kann, zeigt derzeit die Theater-AG der Bördeschule Schellerten. Dort werden die Sieben Zwerge auf der Aulabühne von Schneewittchen regelrecht heimgesucht. Die feine Dame bringt mit harschem Ton Ordnung in den beschaulichen Alltag der eifrigen Gesellen, sehr zu ihrem Unmut. Die haben nun nur noch ein Problem: „Wie werden wir Schneewittchenwieder los?“
Was wie eine amüsante Schultheateraufführung klingt, ist gleichzeitig so etwas wie ein pädagogisches Meisterstück. Annika Bertrand, 29 Jahre jung, hat vor drei Jahren an der Bördeschule angefangen und sich gleich in den Aufbau einer Theater-AG für die dritten und vierten Klassen gestürzt. Jahr für Jahr stellt sie seitdem gemeinsam mit ihrer Kollegin Marianne Kaune zum Schuljahresabschluss eine Inszenierung auf die Bühne, die die Leistungsfähigkeit ihrer Schüler ins rechte Licht rückt.
Klar, dass Marianne Kaune, hinter dem Vorhang versteckt, immer wieder als Souffleuse ein Stichwort für den Text flüstern muss. Doch ansonsten liefern die kleinen Darsteller nahezu mühelos auch lange und komplizierte Textpassagen, garniert mit passender Mimik und Gestik. Wie auf den Leib geschnitten ist zum Beispiel Maren die Rolle des Schneewittchens als kleines, verwöhntes Biest, die die Zwergecombo mit ihrer Arroganz regelrecht in die Verzweiflung und auch aus ihrem angestammten Gemeinschaftsbett treibt.
Der Ansturm auf die Theater-AG ist mittlerweile so stark, dass Annika Bertrand mit Doppelbesetzungen arbeitet und die Textvorlage sogar um eigene Rollen erweitert hat. Das zweite Schneewittchen ist ein Junge: „Der spielt genauso brilliant.“ Die Junglehrerin ist zum Theater eher per Zufall geboren. In ihrem Referendariat hat sie das Medium kurz kennengelernt und nun das pädagogische Potenzial für sich entdeckt: „Es ist unglaublich, was man aus den Kindern herausholen kann und wie sie ihre Präsenz entwickeln.“
Den Stärken entsprechend verteilt sie gemeinsam mit Marianne Kaune die Rollen und Aufgaben an die Kinder. Dazu sei genaues Beobachten und ein hohes Maß an Aufmerksamkeit nötig, betont Annika Bertrand.Was für alle Kinder in gleichem Maße zusätzlich gilt, sei das neue Gruppengefühl, das im Laufe der Produktion entstanden sei.
Und das war zum einen bei der kleinen Schar der Sieben Zwerge deutlich zu sehen, die stets als Gruppe auf der Bühne agierte. Zum anderen aber zeigte die Abschlusschoreografie mit Musicalcharakter, wie sicher sich die kleinen Darsteller bereits auf der Bühne und vor Publikum bewegen können.
Rektor Rudolf Maxen griff den begeisterten Applaus der Zuschauer auf und bat die Schauspieler und deren Helfer zur Wiederholung auf die Bühne, um noch einmal das Abschlusslied anzustimmen. Kein Problem für die zu improvisieren. Selbstsicher passten sie sich der Situation an, bereits komplett auf der Bühne zu stehen und sangen textsicher ihr Finale noch einmal. Auch die Mitstreiter, die Vorhang- und Requisitendienst übernommen hatten, stimmten eifrig mit ein. Die Lieder stammen übrigens auch aus der Feder der jungen Lehrerin, die neben der Rolle als Regisseurin damit gleich noch zur „Komponistin“ wurde.
Erleichterung und Gänsehaut schließlich bei Annika Bertrand: „Das hat mich richtig bewegt, sie wieder spielen zu sehen.“ Für die Lehrerinnen sind die vier Vorstellungen der Viertklässler auch ein Abschied. Doch längst hat sich in den zweiten Klassen herumgesprochen, dass sie nächstes Jahr an der Reihe sind, ins Rampenlicht zu treten. „Die Warteschlange ist schon sehr lang“, stöhnt Annika Bertrand gespielt. Die Freude an dem Erfolg ihrer Arbeit ist ihr anzusehen.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors (Norbert Mierzowsky/Hildesheimer Allgemeine Zeitung)
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