Bereit zum Pokern mit den Konzernen
Die Bürgermeister von Algermissen, Bockenem, Giesen, Harsum, Holle, Nordstemmen, Schellerten und Söhlde sind gestern im Giesener Rathaus zusammengekommen, um den Vertrag zur Gründung einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) zu unterschreiben. Die soll künftig für insgesamt 70 000 Einwohner der Gemeinden die Bewirtschaftung des gemeinsamen Stromnetzes übernehmen.
Das heißt, es für die Durchleitung von Energie zur Verfügung zu stellen und dafür von den Stromversorgern zu kassieren. „Das ist ein Meilenstein der kommunalen Zusammenarbeit“, wertete Giesens Bürgermeister Andreas Lücke das Ereignis.
Dass die Bürgermeister in Giesen zusammenkamen, sei eben auch Lücke zu verdanken, betonte Axel Witte (Schellerten). Er habe schließlich den Stein ins Rollen gebracht. Mit Unterstützung des Landes Niedersachsens, erläuterte Lücke vor der Vertragsunterzeichnung.
Das Land unterstützt die interkommunale Zusammenarbeit auch finanziell, wie in diesem Fall, sagte Lücke. Und das Geld sei bitter nötig, denn keine der einzelnen Gemeinden habe die nötige Kompetenz, um so ein Gemeinschaftsunternehmen auf die Beine zu stellen. Zwei Beratungsbüros aus Bremen stehen dem Oktett der künftigen Stromnetz-Betreiber zur Seite. Eines von beiden ist darauf spezialisiert, die nächste Etappe zu begleiten: die Verhandlungen mit den Stromgiganten.
Denn einer dieser Konzerne muss als Partner nicht nur eine 49-prozentige Beteiligung übernehmen, er soll auch die Verantwortung für die technische Qualität des Stromnetzes tragen.
Dass die Kommunen zu Unternehmern werden, sei auch eine Folge der neuen doppelten Buchführung, der sogenannten Doppik. Die weise unter anderem Abschreibungen als Wertverluste in ihrer Bilanz auf. Um die nicht aus den Taschen der Bürger auszugleichen, biete sich die wirtschaftliche Option, Gewinne zu erzielen, als Alternative an, erläuterte Lücke. Und damit rechnen die acht Bürgermeister.
Trotz aller Widerstände in den eigenen Reihen. Denn nicht alle Räte haben sich einstimmig dafür ausgesprochen, in jedem Fall aber mehrheitlich. Und das sei genau die Hürde, die das Land Niedersachsen der neuen AöR noch in den Weg gestellt hatte: Die Gemeinderäte behalten am Ende das Recht, die AöR doch noch zu verhindern, falls sich das finanzielle Risiko als zu groß erweise.
Doch das sei überhaupt nicht zu erwarten, im Gegenteil, sagte Gundolf Kemnah (Harsum): „Selbst, wenn es mit der AöR nicht klappen sollte, haben wir als Partner bei Verhandlungen mit einem künftigen Betreiber gute Chancen, bessere Konditionen zu erzielen.“ Als Verbund von acht Gemeinden könne man am Ende immer Preisvorteile erzielen, kündigte er an.
Die Unterlagen zum technischen Zustand des Stromnetzes würden derzeit geprüft, sagte Lücke. Und sechs Versorger hätten bereits ihr Interesse signalisiert, als Partner in den neuen Verbund einzusteigen. Zwei Jahre bleiben der AöR nun, an den Start zu gehen, begleitet von einem Beratungsbüro, das bereits die „harten Verhandlungen“ in anderen Bundesländern hinter sich gebracht habe, so Lücke. Wenn alles gut gehe, werde das Gemeinde-Oktett am 1. Januar 2013 eigener Unternehmer auf dem Strommarkt sein.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung/ Norbert Mierzowsky)
Hat bislang noch Seltenheitswert: Acht Gemeinden schließen einen Vertrag. Foto: Mierzowsky